Bei geschätzten 10.000 Qigong-Formen, die es mittlerweile geben soll, möchte ich mit diesem Beitrag etwas Licht ins Dunkel der Qigong-Stile bringen. Denn es ist als würde man zum Vergleich sagen: „Ballsport? Ja, davon habe ich schön gehört und auch mal was probiert.“ Die Gemeinsamkeit im letzteren Fall ist oft nur der Ball. Beim Qigong haben alle Formen die Bewegung des Qi (Chi) gemeinsam. Warum also gibt es so viele Qigong-Stile? Was sind die Unterschiede und warum? Was sind deren jeweilige Ziele und Absichten? Wie sieht die Denkhaltung oder Philosophie dahinter aus?
Die fünf Richtungen des Qigong
Grundsätzlich wird Qigong (Chi Kung) in fünf Richtungen unterteilt: die daoistische, konfuzianische, buddhistische, medizinische und kampfkunstorientierte. Innerhalb dieser fünf Richtungen gibt es wiederum verschiedene Gruppierungen, Schulen und Untergruppierungen; innerhalb dieser (Unter-)Gruppierungen auch wieder jede Menge Unterschiede und Ähnlichkeiten.
Daoistische Richtung
In der daoistischen Philosophie liegt der Schwerpunkt in der Stärkung von Körper und Geist. In ihrer ursprünglichen Philosophie liegt der Sinn darin, die höhsten (spirituellen) Stufen zu meistern und zu verstehen, aber am Anfang ist dies erst einmal nicht der Fall. Im Gegensatz zur Meinung mancher, wird „Dao“ eben nicht durch „Nichtstun“ erreicht.
Zunächst geht es darum, dass die Techniken in Fleisch und Blut übergehen und Körper und Geist in Einklang gebracht werden. Erst im nächsten Schritt kann sich der Praktizierende dem natürlichen Fluss hingeben und die natürlichen Gesetze der Bewegung nutzen.
In dieser ersten Phase geht es auch darum, den Kopf frei zu bekommen. Der Geist folgt den Körperbewegungen, die wiederum den natürlichen Gesetzen der Bewegung – also der Gravitation, den zentrifugalen Kräften, etc – folgen. Die Lehre der drei Dantians (diese entsprechen in etwa dem Nabel-, Herz- und Stirnchakra) und der kleine und große Himmlische Kreislauf spielen im daoistischen Qigong eine bedeutende Rolle.
Da die Bewegungen zunächst im Vordergrund stehen, könnte die daoistische Richtung für Anfänger und Menschen mit starkem Bewegungsdrang die bessere Alternative (zumindest zum Einstieg) sein. Auch Dayan (Wildgans) Qigong zählt zur daoistischen Richtung.
Konfuzianische Richtung
Hier liegt der Schwerpunkt sehr stark in der Kultivierung einer aufrichtigen Persönlichkeit und der Kontrolle von Geist und Gedanken. Nach der konfuzianischen Philosophie werden (der männliche) Samen, die innere Energie sowie der Geist als die drei großen Schätze eines Menschen betrachtet, die es zu schützen und unter Kontrolle zu halten gilt. Das Ziel ist es, niemals schwach werden gegenüber Dingen oder Emotionen. Mit den Übungen soll der Praktizierende einen ausgeglichene, ruhigen Gemütszustand erreichen, so dass ihn nichts (so schnell) aus der Ruhe bringen kann.
Buddhistische Richtung
Hier ist der Geist das zentrale Element aller Übungen. Meditation, also die Arbeit mit dem Geist, ist das ultimative Ziel. Der Körper wird als zweitrangig betrachtet, der nur dem Geist als Vehicle dient, um Erleuchtung zu entwickeln, zu beschleunigen und letztlich zu erreichen. Buddhistische Formen kombinieren oft äußere mit inneren Methoden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer Technik, die man mit „Aufpumpen von Qi“ beschreiben könnte. Wenn man z.B. bei offenem Wasserhahn einen Fuß auf einen Gartenschlauch hält und diesen abdrückt, so fliesst kein Wasser mehr. Wenn man den Fuß wieder wegnimmt, wird eine größere Menge Wasser (unter Druck) freigegeben. Nach diesem Prinzip funktioniert bei diesen Qigong-Stilen auch die Ein- und Ausatmung.
Medizinische Richtung
Das primäre Ziel ist die Behandlung von Krankheiten und Beschwerden. Die besten Ergebnisse werden jedoch mit Vorbeugung erzielt, weshalb dies chinesische Ärzte bzw. Qigong-Therapeuten immer wieder betonen. Das medizinische Qigong beinhaltet drei Bereiche:
a) Zielgerichtete Heilenergie: Hier richtet der erfahrene Qigong-Anwender oder Therapeut seine Energie auf bestimmte Punkte oder Kanäle im/am Körper des Patienten. Das Ziel ist, die Zirkulation und darüber bestimmte innere Prozesse anzuregen, um schlechtes Qi auszuleiten und das gesamte System zu stärken.
b) selbstkontrollierende Therapie: Mittels bestimmter Techniken und Übungen (Qigong) befreit der Patient sich selbst von Beschwerden oder beugt diesen vor. Diese Übungen können sehr individuell angepasst werden an die Fähigkeiten, die Verfassung, die Bedürfnisse und nicht zuletzt die Krankheit des Patienten. Dies ist u.A. ein Grund, warum es so viele Stile gibt.
c) Behandlung durch Handauflegen: Gemeint sind hier meist die Tuina-Massage oder Akupressur als integrierter Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin. Der Therapeut oder Behandler legt seine Hände oder Finger auf bestimmte Punkte, Muskelgruppen, Gelenke, etc. Diese Areale sowie das angrenzende Gewebe werden gelockert, so dass das Qi gut hindurchfließen kann.
Die Akupressur sowie das Selbstbestrahlen finden auch beim Wildgans Qigong statt. Klares Ziel ist die Vorbeugung, Heilung und Regeneration von Beschwerden und Krankheiten, weshalb dieser Stil in die daoistische und medizinische Richtungen eingeordnet werden kann.
Kampfkunstbetonte Richtung
Bei den Kampfkünsten ist die Absicht, also die innere Haltung und das beabsichtigte Ziel hinter jeder Bewegung ganz entscheidend. Deshalb wird von eigenmächtigen Abwandlungen der traditionellen Bewegungen sehr abgeraten. Es gibt äußere und innere Schulen. Die äußeren beinhalten diverse Stellungen, Fall-, Faust-, Ellbogen-, Knie-, Kopf- und Schultertechniken. Außerdem Blocks, Tritte, Hebel, Würfe und Waffen. Hinzu kamen Dehnungsübungen im Sinne der Meridianlehre.
Die Innere Schulung beinhaltete neben der Ernährung insbesondere die Meditation des Chan, die inneren und äußeren Ausdrucksformen des Qigong sowie Kenntnisse über Vitalpunktstimulierung für den Einsatz im Kampf und zur Ersten Hilfe. Es gibt hartes (Fokus auf Muskelaufbau) und weiches Qigong (spirituelle Entwicklung, Visualisierung der Muskeltätigkeit ohne aktive Tätigkeit).
In den traditionellen Kampfküsten früherer Zeiten waren die ausgleichenden Qigong-Anteile (yin) noch fester Bestandteil der harten muskelbetonten Bewegungen (Yang). Es waren die Chinesen selbst, die dies in den Kampfkünsten abgeschafft haben, so dass Sportler, die Judo, Karate, Kungfu, etc. trainieren, zunehmend von Verletzungen heimgesucht werden.
Weitere Informationen über die Kampfkünste im Qigong – u.A. Kungfu, Taijichuan, die fünf Tiere, Shaolin, etc. – gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Qigong.
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